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Spiritualität – Wahrnehmen der Lücken im Netz der Erkenntnis

Es gibt das Yoga der Hingabe (Bhakti), das Yoga des Körpers (Hatha, Kundalini), das Yoga des Klanges (Nada), das Yoga des selbstlosen Dienens (Karma)… und das Yoga des Verstandes (Jnana). Wege zur Gesundheit und zum Wohlsein gehören zu jedem Yogaweg, der in Richtung Selbstverwirklichung führt (dazu später mehr). Über Worte und Konzepte nachzudenken, ist der Bereich des Jnana-Yogas für diejenigen, deren Geist unruhig nach Antworten sucht und „kognitive Dissonanzen“ zu überwinden sucht.

In diesem Sinne: Was ist Spiritualität?

Vorweg: Spiritualität heißt nicht, einer Religion, Tradition oder einer allgemeinen oder eigenen Phantasie zu folgen, die Ideen und Geschichten pflegt über die Dinge, die wir nicht wissen (Glaubenssysteme). Spiritualität ist auch unabhänigig von Kleidung, Accessoirs, Sprachduktus, Räucherwerk oder Musik. Sich in diesen Systemen zu bewegen und sich evtl. wohlzufühlen ist fein, aber nicht der Kern von Spiritualität. Traditionen, Psychologien und Philosophien sind aber oft gute Wegweiser – man studiert sie und geht dann weiter…

Spiritualität heißt, seine Aufmerksamkeit zu richten auf das, was jenseits des Physischen liegt. Unsere Sinne bringen uns in Kontakt mit der Welt um uns, unser Wissen und Denken ist erlernt und unser Fühlen ist eine Folge daraus. All diese Eindrücke (Samskaras) bestimmen unser Fühlen, Denken und Handeln in dieser Welt (Ego, Ich, Identität). Es liegt nahe zu sehen, dass die Natur dieser Eindrücke sehr begrenzt und kulturell/historisch bedingt ist. Aus dem anfänglich groben Wissen, Denken und Fühlen ist im Laufe der Menschheitsgeschichte ein sehr feines und engmaschiges Netz entstanden. Ich verstehe das aktuell moderne Verlangen von Mitmenschen, sich auf das anfängliche und grobe Wissen zu besinnen („back to the roots“), doch das Wesen eines Netzes – wie weit oder eng auch immer – besteht in dessen Lücken. Auf einen „Rest des Messbaren“ weist die Unschärfetheorie von Werner Heisenberg hin, den wir auch einfach im Bereich der Philosophie übernehmen dürfen: Es gibt Lücken.

Und diese Lücken könnten wir den Bereich der Spiritualität nennen. Wir füllen sie nicht mit Spekulationen, auftauchenden Phantasien oder tradierten Geschichten, sondern richten einfach unsere Aufmerksamkeit darauf. Diese Lücken scheinen gefüllt zu sein mit Zufällen, Chaos, Kreativität, Potential, Unvorhersehbarem und mit dem Phänomen des Lebens selbst – interessant, dass die Fragen „Was ist Leben überhaupt?“, „Wie funktioniert Leben?“ und „Was ist Bewusstsein?“ zumindest meines Wissens nach nicht beantwortet sind. In den Lücken unseres Netzes der Erkenntnis finden sich die größten Geheimnisse, die evident und sichtbar um uns herum gegenwärtig sind: Eine schöpferische Intelligenz, eine Energie, die Dasein, Leben und Bewusstsein ermöglicht. „Wer Augen hat zu sehen, der sehe…“ – wir sehen das überall – auf der Straße, im Garten, im Wald, in unseren Mitmenschen, in unseren Kindern, im Armeisenhaufen, im Nachthimmel… überall.

Das Bedeutet Spiritualität: Eine verbindende Aufmerksamkeit auf das, was unser Geist auch mit technischer Hilfe nicht messen, fassen und interpretieren kann und ein Lossagen von vorgeschlagenen Lösungen und Geschichten – es tut weh, wenn Menschen sich fest machen in mehr oder weniger dogmatischen Gemeinschaften oder Glaubensgebäuden und sich darin verhäddern. Spiritualität drängt in die Weite, atmet Freiheit und weiß, dass jetzt Geglaubtes morgen überwunden werden wird. Sie erkennt Grenzen als selbst erschaffene Konstrukte und ent-grenzt sie: Gewahrsein und Wachstum.

Oben wurde das Wort „Selbstverwirklichung“ als Ziel der Yogawege genannt: Natürlich gehen wir in der Frage des Überlebens mit dem Netz der Erkenntnis um, wir lernen das Material kennen und interessieren uns für die Knotenpunkte: Wie backe ich ein Brot und was muss ich wissen, um eine Rakete in den Weltraum fliegen zu lassen und wie war noch mein WLan-Passwort?…

Yoga lehrt aber, das auch einmal loszulassen und den mysteriösen (mystischen) Raum wahrzunehmen. Wenn wir das praktizieren, wird das in uns wachsen, was wir „menschlich“ oder manchmal auch „göttlich“ nennen: Wissen, Güte, Vertrauen, Energie, Liebe, Kreativität… Es wird sich von selbst in uns das realisieren, was in uns wunderbar angelegt ist ganz verschiedenen Ausdrucksformen und Blüten. Dazu ist es nicht nötig, Vorbildern zu folgen. Die Saat dazu liegt in jedem von uns – in jedem.